Eine Geschichte der Kultur
Ernest Shackleton

„Dies ist eine wahre Geschichte“,
Mit diesen Worten läuten die Schauspieler*innen eine Geschichte ein, die fast nicht wahr sein kann. Die sich anfühlt wie ein Film mit zu viel Action und zu wenig Realitätstreue.  
Es ist ein schönes Stück. Interessant, lustig, traurig, verblüffend. Ein Stück, das inspiriert und nachdenklich macht. „Patience Camp“, aufgeführt beim Jahrmarkttheater, erzählt von einem fernen Ort aus einer fernen Zeit. Und hat doch viele aktuelle Facetten.

Patience Camp ist eine Geschichte des Überlebens.

Die Geschichte von 28 Menschen. 49 Hunden. Und einer Katze. Am 5. Dezember 1914 brechen sie auf, die Antarktis zu durchqueren.

Patience Camp ist eine Geschichte des Scheiterns.

Sie schaffen es nicht. Nicht einmal ein bisschen. Das Schiff der Abenteurer wird von Packeis eingeschlossen, mitten im weißen Nichts. Plan B, auf den Frühling zu warten, scheitert. Plan C, sich 500km bis zu einer Insel durchzuschlagen, scheitert. Plan D, E und F scheitern auch.
Nichts will klappen.  

Patience Camp ist eine Geschichte der Führung.

Sir Ernest Shackleton wollte Ruhm ernten. Ein Held werden. Roald Amundsen war ihm als erster Mensch am Südpol zuvorgekommen. Mit der Durchquerung desselben wollte er ihn übertrumpfen - doch zur Legende wird er, weil dieses Vorhaben scheitert.
Plan um Plan ersinnt Shackleton, einer utopischer als der nächste. Egal, Zuversicht ist wichtiger als Realismus. Die Crew folgt ihm. Vertraut ihm. 635 Tage lang. Trotz Frust und Angst und Wut gibt es nicht eine Prügelei. Weil jeder an das Versprechen vom „Boss“ glaubt: das Versprechen, sie alle lebend zurückzubringen.  

Patience Camp ist eine Geschichte der Hoffnung.

Versprechen hin oder her: Alles spricht gegen diese 28 Menschen. Kälte, Eis, Hunger, die Urgewalt der Natur. Eigentlich gibt es kein Entkommen. Nur ein langes, zähes Warten auf den Tod, aufgehübscht durch einen kleinen Funken unerklärlicher Hoffnung, entfacht vom nimmermüden Shackleton.
Dieses „schlimmste aller Übel“ (Nietzsche), die Hoffnung, hält das Team am Leben. Und die Macht der Gewohnheit.

Patience Camp ist eine Geschichte der Routinen.

Schlafen, Essen, putzen, jagen, spielen, planen, trinken, lesen. Im Patience Camp gibt es immer etwas zu tun. Shackleton hält seine Leute beschäftigt, etabliert einen festen Alltag gegen das Verrücktwerden. Ein Hauch Normalität in einem fast zwei Jahre dauernden Überlebenskampf.

Patience Camp ist eine Geschichte von Männern.  

Das Ensemble des Jahrmarkttheaters ist divers, doch die Crew um Shackleton ist weiß und männlich. Das Spiegelbild einer Zeit, in der Geschlecht und Herkunft den gesellschaftlichen Rang definieren, viel stärker noch als heute. In der Frauen kaum selbstbestimmt leben können. Das Stück erzählt vom Privileg, in der Antarktis fast sterben zu dürfen und dabei Geschichte zu schreiben. Wäre die Expedition mit einer diverseren Crew anders verlaufen? Wenn ja, wie?

Patience Camp ist eine Geschichte des Sterbens.

Shackleton hat wundersam Wort gehalten: Alle 28 Männer kehrten zurück. Die Hunde wurden getötet. Die Katze auch. Und unzählige Robben und Pinguine.

Patience Camp ist eine Geschichte der Prinzipien.
 

Als der erste Weltkrieg ausbrach, stachen Shackleton und seine Mannschaft gerade in See. Die britische Crew wollte die Expedition abbrechen, um zu kämpfen. Heerführer Churchill lehnte ab. Zwei Jahre und einen unvorstellbaren Überlebenskampf später hat sich am Kampfeseifer der Mannschaft nichts geändert.
Fast alle ziehen in den Krieg. Freiwillig. Mindestens drei sterben, fünf werden schwer verwundet. Shackleton wird herzkrank, stirbt – natürlich - bei einer Antarktis-Expedition. Weder er noch seine Kameraden scheinen die 635-tägige Nahtoderfahrung mit einem Gefühl der lähmenden Verwundbarkeit bezahlt zu haben. Im Gegenteil: Ihr Handeln spricht eher für ein Gefühl der Unverwundbarkeit.

Patience Camp ist eine Geschichte der Kultur.

Welche Dinge zählen, wenn du bei -57 Grad am Südpol feststeckst und der Tod täglich an die Türe klopft? Essen, Trinken, Schlaf, Sicherheit. Klar. Aber ein Banjo?
Als die Crew ihr kenterndes Schiff verlassen musste, durften die Habseligkeiten der Kameraden nicht schwerer als zwei Kilogramm wiegen. So befahl es Shackleton. Nur eine Ausnahme gab es: das zwölf (!) Kilo schwere Banjo von Leonard Hussey. Offenbar unverzichtbar. Systemrelevant, würde man heute sagen.
Fast jeden Abend gab es Programm. Die Männer sangen ohne Unterlass, sie lasen „Stolz und Vorurteil“, mindestens sieben Mal. Sie trugen Fußballturniere aus. Und sie spielten Theater. (Theater! In der Antarktis! Im Angesicht des Todes!).
„Mentale Medizin“ nannte Shackleton diese Aktivitäten später. Wie wahr: Wie kaum ein zweites Beispiel zeugt Patience Camp von der Bedeutung von Kultur – gerade in Zeiten der Not.

Über die gesamte Dauer des 'Zeltplatz der Zivilisation' verwaltet der überregional bekannte Journalist und Fotograf Philipp Awounou die wichtigsten Postdienste vor Ort. Alles was auf dem Zeltplatz passiert, geht über die Poststelle nach draußen. In persönlichen Briefen, griffigen Telegrammen, ganzen Zeitungsartikeln und mit Fotos begleitet, kommentiert und reflektiert Philipp Awounou das Geschehen. Dadurch bleiben wir nicht nur alle auf dem Laufenden, sondern sind zugleich eingeladen, die eigenen Erlebnisse oder Gedanken in neue Fächer zu sortieren.

Wer regelmäßig aus der Poststelle beliefert werden will, kann die Sendungen unter kontakt@jahrmarkttheater.de abonnieren.
Eine Geschichte der Kultur
Ernest Shackleton

„Dies ist eine wahre Geschichte“,
Mit diesen Worten läuten die Schauspieler*innen eine Geschichte ein, die fast nicht wahr sein kann. Die sich anfühlt wie ein Film mit zu viel Action und zu wenig Realitätstreue.  
Es ist ein schönes Stück. Interessant, lustig, traurig, verblüffend. Ein Stück, das inspiriert und nachdenklich macht. „Patience Camp“, aufgeführt beim Jahrmarkttheater, erzählt von einem fernen Ort aus einer fernen Zeit. Und hat doch viele aktuelle Facetten.

Patience Camp ist eine Geschichte des Überlebens.

Die Geschichte von 28 Menschen. 49 Hunden. Und einer Katze. Am 5. Dezember 1914 brechen sie auf, die Antarktis zu durchqueren.

Patience Camp ist eine Geschichte des Scheiterns.

Sie schaffen es nicht. Nicht einmal ein bisschen. Das Schiff der Abenteurer wird von Packeis eingeschlossen, mitten im weißen Nichts. Plan B, auf den Frühling zu warten, scheitert. Plan C, sich 500km bis zu einer Insel durchzuschlagen, scheitert. Plan D, E und F scheitern auch.
Nichts will klappen.  

Patience Camp ist eine Geschichte der Führung.

Sir Ernest Shackleton wollte Ruhm ernten. Ein Held werden. Roald Amundsen war ihm als erster Mensch am Südpol zuvorgekommen. Mit der Durchquerung desselben wollte er ihn übertrumpfen - doch zur Legende wird er, weil dieses Vorhaben scheitert.
Plan um Plan ersinnt Shackleton, einer utopischer als der nächste. Egal, Zuversicht ist wichtiger als Realismus. Die Crew folgt ihm. Vertraut ihm. 635 Tage lang. Trotz Frust und Angst und Wut gibt es nicht eine Prügelei. Weil jeder an das Versprechen vom „Boss“ glaubt: das Versprechen, sie alle lebend zurückzubringen.  

Patience Camp ist eine Geschichte der Hoffnung.

Versprechen hin oder her: Alles spricht gegen diese 28 Menschen. Kälte, Eis, Hunger, die Urgewalt der Natur. Eigentlich gibt es kein Entkommen. Nur ein langes, zähes Warten auf den Tod, aufgehübscht durch einen kleinen Funken unerklärlicher Hoffnung, entfacht vom nimmermüden Shackleton.
Dieses „schlimmste aller Übel“ (Nietzsche), die Hoffnung, hält das Team am Leben. Und die Macht der Gewohnheit.

Patience Camp ist eine Geschichte der Routinen.

Schlafen, Essen, putzen, jagen, spielen, planen, trinken, lesen. Im Patience Camp gibt es immer etwas zu tun. Shackleton hält seine Leute beschäftigt, etabliert einen festen Alltag gegen das Verrücktwerden. Ein Hauch Normalität in einem fast zwei Jahre dauernden Überlebenskampf.

Patience Camp ist eine Geschichte von Männern.  

Das Ensemble des Jahrmarkttheaters ist divers, doch die Crew um Shackleton ist weiß und männlich. Das Spiegelbild einer Zeit, in der Geschlecht und Herkunft den gesellschaftlichen Rang definieren, viel stärker noch als heute. In der Frauen kaum selbstbestimmt leben können. Das Stück erzählt vom Privileg, in der Antarktis fast sterben zu dürfen und dabei Geschichte zu schreiben. Wäre die Expedition mit einer diverseren Crew anders verlaufen? Wenn ja, wie?

Patience Camp ist eine Geschichte des Sterbens.

Shackleton hat wundersam Wort gehalten: Alle 28 Männer kehrten zurück. Die Hunde wurden getötet. Die Katze auch. Und unzählige Robben und Pinguine.

Patience Camp ist eine Geschichte der Prinzipien.
 

Als der erste Weltkrieg ausbrach, stachen Shackleton und seine Mannschaft gerade in See. Die britische Crew wollte die Expedition abbrechen, um zu kämpfen. Heerführer Churchill lehnte ab. Zwei Jahre und einen unvorstellbaren Überlebenskampf später hat sich am Kampfeseifer der Mannschaft nichts geändert.
Fast alle ziehen in den Krieg. Freiwillig. Mindestens drei sterben, fünf werden schwer verwundet. Shackleton wird herzkrank, stirbt – natürlich - bei einer Antarktis-Expedition. Weder er noch seine Kameraden scheinen die 635-tägige Nahtoderfahrung mit einem Gefühl der lähmenden Verwundbarkeit bezahlt zu haben. Im Gegenteil: Ihr Handeln spricht eher für ein Gefühl der Unverwundbarkeit.

Patience Camp ist eine Geschichte der Kultur.

Welche Dinge zählen, wenn du bei -57 Grad am Südpol feststeckst und der Tod täglich an die Türe klopft? Essen, Trinken, Schlaf, Sicherheit. Klar. Aber ein Banjo?
Als die Crew ihr kenterndes Schiff verlassen musste, durften die Habseligkeiten der Kameraden nicht schwerer als zwei Kilogramm wiegen. So befahl es Shackleton. Nur eine Ausnahme gab es: das zwölf (!) Kilo schwere Banjo von Leonard Hussey. Offenbar unverzichtbar. Systemrelevant, würde man heute sagen.
Fast jeden Abend gab es Programm. Die Männer sangen ohne Unterlass, sie lasen „Stolz und Vorurteil“, mindestens sieben Mal. Sie trugen Fußballturniere aus. Und sie spielten Theater. (Theater! In der Antarktis! Im Angesicht des Todes!).
„Mentale Medizin“ nannte Shackleton diese Aktivitäten später. Wie wahr: Wie kaum ein zweites Beispiel zeugt Patience Camp von der Bedeutung von Kultur – gerade in Zeiten der Not.

Über die gesamte Dauer des 'Zeltplatz der Zivilisation' verwaltet der überregional bekannte Journalist und Fotograf Philipp Awounou die wichtigsten Postdienste vor Ort. Alles was auf dem Zeltplatz passiert, geht über die Poststelle nach draußen. In persönlichen Briefen, griffigen Telegrammen, ganzen Zeitungsartikeln und mit Fotos begleitet, kommentiert und reflektiert Philipp Awounou das Geschehen. Dadurch bleiben wir nicht nur alle auf dem Laufenden, sondern sind zugleich eingeladen, die eigenen Erlebnisse oder Gedanken in neue Fächer zu sortieren.

Wer regelmäßig aus der Poststelle beliefert werden will, kann die Sendungen unter kontakt@jahrmarkttheater.de abonnieren.